Krachende Niederlagen – das gilt im Leben und ganz besonders beim Fußball – sind oft wichtiger als glanzvolle Siege. Auch für Joachim Masannek, den Erfinder der „Wilden Fußballkerle“, einer der erfolgreichsten Kinderfilm-Reihen der zurückliegenden Jahre. Ende der Neunziger trainierte er eine Kindermannschaft des TSV Grünwald aus dem Münchner Nobelvorort. Und musste mit ihr gegen die Altersgenossen vom FC Bayern antreten.


Es setzte Tor um Tor. „Warum habt ihr euch unter Wert verkauft?“, will er nach dem Match wissen. Die Antwort: „Wir haben uns geschämt.“ Die Bayern sahen aus wie Profis, kamen mit dem Bus und in schicken Klamotten. Im Gegensatz zu Masanneks Spielern. Die trugen zu große Trikots, auf denen ein Spanferkel prangte – das Firmenlogo des Vereinssponsors, eines Grünwalder Metzgers.
Masannek, als Regisseur mit Sinn fürs Dramatische ausgestattet, erinnert sich: „Da haben wir gesagt: Jetzt gründen wir eine Mannschaft, die berühmter wird als der FCB. Und dann haben wir die Wilden Kerle gemacht, mit schwarzen Trikots und dem schwarzen Ball.“ Zwei Jahre später, vor der Premiere des ersten „Wilde Kerle“-Films, schlugen diese Wilden Kerle den FC Bayern auf eigenem Platz.
Auch wenn Niederlagen der großen Bayern inzwischen seltener sind als Schneestürme in der Wüste und mancher Auswärtige die Gelassenheit, mit der in München Meisterschaften zur Kenntnis genommen werden, mit mangelnder Fußballbegeisterung verwechselt: Die Stadt liebt das Spiel. Um das zu erleben, muss man nur bei Ekkehard Kissel im Westend vorbeischauen. Gerade vermittelt er den Kindern von Westend United die hohe Fußballschule. „Das ist ein 4-3-3-System“, erklärt der Trainer und deutet auf seine Taktiktafel. „Wer spielt so?“ Munteres Rätselraten bei den gut 20 Kindern. Schließlich ruft einer der Jungs: „Brasilien!“ Kissel, den hier alle nur Ekki nennen, nickt. „Und wer spielt da?“ „Messi!“, kommt es wie aus der Pistole geschossen. Nicht ganz richtig, aber bei Westend United geht es sowieso nicht ums Gewinnen oder Verlieren. Sondern um den Spaß am Spiel.
Knapp 70 Jungen und Mädchen kommen regelmäßig zum Training auf die Kazmairwiese im Münchner Westend. Die meisten aus der direkten Umgebung. Mit ein paar Bekannten aus der Nachbarschaft gründete Kissel 2011 den Fußballklub, in dem die Kinder abseits des Ligabetriebs kicken können. „Bei uns im Westend gab es noch keinen Verein, da haben wir eben selbst einen gegründet.“
Zur Selbsthilfe greift man im Westend schon lang. Zum Beispiel vor gut 100 Jahren, als die Baugenossenschaft München-West hier Wohnungen für die Neubürger hochzog, die damals aus ganz Deutschland in die Stadt strömten. Waren es um 1900 Arbeiter aus Bayern, kamen seit den 1950er-Jahren immer mehr Griechen, Italiener, Türken. Noch immer leben hier so viele Ausländer wie in kaum einem anderen Stadtteil. Entsprechend viele Feinkostläden mit Spezialitäten aus dem Süden Europas gibt es. Obendrein zählt das Viertel zu den am dichtesten besiedelten in München – gut 30 000 Menschen wohnen auf gerade mal zwei Quadratkilometern.
Dass es im Westend trotz der Enge zumindest ein wenig Grün gibt, liegt am Umzug der Messe nach Riem: 1999 wurde ihr Freigelände zum Bavariapark umgestaltet, auf seiner Wiese darf gekickt werden. Und so fühlen sich die Kinder von Westend United – genau wie ihre Eltern – richtig wohl im Viertel. „Giesinger bleibt man. Westendler wird man“, sagt Ekki Kissel.
In der Tat. Lazaros „Laza“ Grigoriadis ist zwar vor ein paar Jahren aus Giesing weggezogen, seinem Heimatverein aber blieb er treu. Als er jetzt von der Terrasse des Turnerbund-Vereinsheims über die Trainingsanlagen schaut, ist er zufrieden. Die B-Jugend trabt zum Aufwärmtraining – und es sind keine FC-Bayern-Trikots zu sehen. Es ist zwar gar nicht seine Mannschaft, aber wenn zu viele Spieler das rote Trikot des FCB tragen, trifft ihn das doch – sein Herz hängt schließlich am Lokalrivalen 1860 München.
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Text: Fabian Herrmann und Thomas Paulsen
Fotos: Erik Dreyer
Produktion: Silke Bodenberger
Die ganze Reportage „Spiel des Lebens“ finden Sie im ADAC Reisemagazin München ab Seite 60. Das Magazin können Sie auch hier bestellen.