Zu dem Bild toskanischer Landschaften gehören nicht nur Zypressen und Olivenbäume, sondern auch mittelalterliche Türme. Einige von ihnen sind zu stilvollen Hotels ausgebaut.
Schon aus der Ferne zeichnet sich die Silhouette von San Gimignano gegen den blauen Himmel ab und lässt erkennen, wie der Ort zu seinem Spitznamen kam: „Manhattan des Mittelalters“ wird das Städtchen genannt, das von Weitem aussieht wie eine moderne Metropole – nur dass die Wolkenkratzer nicht aus Glas, sondern aus erdfarbenen Steinen sind. Inmitten dieser „Hochhäuser“ ist der TORRE SALVUCCI MAGGIORE auszumachen – und den gilt es einzunehmen.
Möglich macht dies Grazia Cresci. Die frühere Inhaberin eines Schuhunternehmens und ihr Mann erstanden den Turm 1989. Damals war das Bauwerk eine Ruine mit Außenmauern und Dach. Doch in mehrjähriger Arbeit ließ die neue Besitzerin das Gebäude renovieren und schuf so den einzigen Turm der Stadt, der komplett bewohnbar ist. „Drinnen wird es eng“, warnt Cresci, während sie die Tür von der Piazza delle Erbe aus aufsperrt. Tatsächlich windet sich eine schmale Treppe an den dicken Steinwänden nach oben. Innen ist der Turm nur wenige Meter breit. Umso faszinierender wirkt das Konzept, das sich der Architekt dafür einfallen ließ: Elf Stockwerke baute er mit einer Stahlkonstruktion in den Turm, jedes nur etwa sechs Quadratmeter groß und jeweils ausreichend für ein Bett, ein Bad oder eine Küche.
Das wichtigste Einrichtungsstück hängt an der Wand: ein Telefon. Wählt man die Tastenkombination R400, klingeln die Apparate in allen anderen Zimmern. Damit spart man sich viele Treppen und viel Schweiß, wenn man Freunde sucht, die sich in anderen Stockwerken aufhalten. Die enge Treppe macht neugierig. DieKoffer lässt man besser im ersten Stock stehen, bevor die 182 Stufen zum Höhepunkt erklommen werden: der Terrasse in 42 Metern Höhe mit Blick über die Stadt.
„Die alten Geschlechtertürme hier haben mich schon immer fasziniert“, erzählt Cresci, die in der nahen Ortschaft Gambassi Terme lebt. Ab dem 12. Jahrhundert hatten wohlhabende Familien diese weit sichtbaren Gebäude errichtet und damit ihre Macht demonstriert. „Als der langjährige Besitzer wegzog, weil er sich den Erhalt des Turms nicht mehr leisten konnte, war das meine Chance.“ Cresci erhielt nicht nur den Zuschlag für den Kauf. Sie hatte auch Glück mit einem architektonischen Detail: Nach italienischem Recht braucht ein Gebäude Fenster in einer Mindestgröße, damit es bewohnt werden darf. Obwohl der Torre Salvucci Maggiore, so wie die anderen Türme, vermutlich als Rückzugsraum bei Angriffen gebaut worden war, hat er ungewöhnlich große Öffnungen im Mauerwerk. „Also durften wir ihn in eine Wohnung verwandeln – das ist einmalig hier.“
Doch so einzigartig sich das Wohnen im Torre Salvucci anfühlt, so verbreitet ist die Idee dahinter. Denn der Reichtum ermöglichte es vielen Grundbesitzern über die Jahrhunderte, stattliche Türme in der Region zu errichten. Inzwischen werden immer mehr davon umgestaltet. Soauch in Grosseto, der südlichsten der zehn Toskana-Provinzen. In dem kleinen Hafenort Talamone erhebt sich ein Bergrücken entlang der Küste. Auf diesem Plateau hatten wohl schon die Etrusker einen Aussichtsturm errichtet. Noch heute steht hier ein Fundament aus der Römerzeit, das 1964 einen neuen Aufbau erhielt. Die Industriellenfamilie Rivolta, die auch ein Formel-1-Team besaß, errichtete sich ihr Denkmal: den Aussichtsturm TORRE RIVOLTA.
„Ja, dann mal viel Spaß im Turm“, wünscht der junge Mann, den alle nur Cesare nennen und der so gar nicht nach Denkmalpfleger aussieht. An seinem ausgewaschenen T-Shirt, den Flipflops an den Füßen und seinen sonnengebleichten Haaren ist zu erkennen, dass er als surfender Teenager in Kalifornien aufwuchs. Jetzt ist er der Herr über den Torre Rivolta. Zu verdanken hat er seinen Posten der Gründung des Maremma-Regionalparks rund um den Turm. In diesem Naturschutzgebiet durfte die Rivolta-Familie nicht, wie zuvor geplant, eine Feriensiedlung bauen und verkaufte ihre Ländereien an das Tourismus-Unternehmen Gitav. Cesares eigene Familienverbindung zu Gitav verhalf ihm schließlich zu seinem Job als Verwalter des Turms und des nahen Agriturismo Club Le Cannelle.
Die ganze Reportage über Hotels in der Toskana mit allen Bildern finden Sie im Reisemagazin Toskana ab Seite 44. Auch hier zu bestellen.
Text: Janek Schmidt
Foto: Jan Schünke