Bergab durch die Mitte


Links und rechts stehen Viertausender für Extremsportler. Doch wer es kinderleicht mag, rollt mit dem Fahrrad entlang der Rhône, die sich vom Furkapass bis zum Genfer See einmal quer durch das Wallis schlängelt.

Die Autotür kracht ins Schloss, und nichts ist mehr, wie es auf der langen Fahrt hierher war. Wir stehen auf dem Furkapass in rund 2400 Metern Höhe. Justus, 6, ist gleich rausgehüpft und lässt sich vom Bergwind die Haare zerstrubbeln. „Die ist so cool, die Schweiz!“, ruft er. „Die hat die besten Krickelkrackel-Straßen der Welt!“ Tatsächlich ist die steile Serpentinenstrecke zur Passhöhe, vorsichtig gesagt, recht abenteuerlich.

Zur Begrüßung hat jemand eine gewaltige Fototapete aufgespannt, ein Gipfelpanorama, das uns erst einmal sprachlos macht: wild gezackte Bergkämme, Felswände, baumlose Landschaften und ein weiter Himmel. Mitten durch dieses Bild ergießen sich in sanften Kurven die Eismassen des Rhônegletschers. Seine Oberfläche ist jetzt im Sommer rissig und zerfurcht wie das Gesicht eines uralten Bergbauern. Je nach Lichteinfall strahlt der eisige Strom mal weiß wie ein Bettlaken, mal kommt er in einem schmutzigen Putzlappengrau daher. Die Zunge des Gletschers leckt an einem glitzernden Schmelzwassersee, aus dem ein Wasserfall über den Steilhang stürzt: die Quelle der Rhône. Sie wird uns in den nächsten sechs Tagen auf unserer Radtour durch das Wallis begleiten und unsere Freundin werden.

Jetzt aber wollen wir erst einmal das Innenleben des Gletschers erforschen. Ein Stollen führt uns tief in eine tropfende Grotte hinein. Hier ist es eiskalt, die transparenten Wände sind noch glatter als ein Kinderpopo, und ihr Eis schmeckt „langweilig, jedenfalls nicht nach Erdbeere“, findet Justus. Das Wunderbarste aber ist das Licht, märchenhaft ineinanderfließende Blautöne, die im Halbdunkel geheimnisvoll schimmern. Zurück in der Sonne, machen wir uns auf den Weg zu unserer ersten Übernachtung am Fuß des Furkapasses, ins Alpenörtchen Oberwald, das sich gut als Kulisse für einen dieser alten Heimatfilme eignen würde. Wir genießen den Abend und freuen uns auf die Abenteuer des nächsten Tags.

Tag eins – von Oberwald nach Brig: vorbei an Holzhäusern und Wiesen. Die letzten 30 Kilometer geht es per Zug zum Ziel.

Die Sonne scheint, der Morgennebel über den Wiesen verzieht sich gerade, und als wir auf unsere Leihtrekkingräder steigen, ist es noch recht frisch an den Ohren. Los geht’s! Der asphaltierte Radweg führt uns durch ein fast unverbautes Hochtal, das mit flauschigen Wiesenteppichen ausgelegt ist. Nebenan sprudelt die junge Rhône, die auf Walliserdeutsch Rotten heißt, fröhlich über mitgeschleppte Wackersteine. Sie trägt fluoreszierendes Blaugrau, eine eigenartig schöne Farbe, die an flüssigen Schiefer erinnert. Der Fluss stellt sie nach einem alten Geheimrezept aus geschmolzenem Gletscher, Geröll und Bergschlamm her.

Gegen Mittag kommen die Örtchen Münster und Reckingen in Sicht. Eine Ansammlung markanter Holzhäuser aus dicken, dunklen Balken, eng aneinandergerückt bilden sie schmale Gassen. Einige der mehrstöckigen Blockhäuser stammen aus dem 17. Jahrhundert. An ihren Fenstern hängen rote und weiße Läden, farblich abgestimmt dazu säumen akkurat gepflanzte Geranien die Balkone. Justus’ Interesse an Architekturgeschichte ist irgendwann erschöpft („Hat das Hotel heute Fernseher?“). Darum steuern wir den Bahnhof in Reckingen an und laden die Fahrräder in den Zug. Das klappt überall im Rhônetal problemlos, in fast jedem Ort gibt es einen Bahnhof, an dem regelmäßig Regionalzüge halten. Das ist für Familien, vor allem bei Quengelattacken der Kinder, eine feine Anti-Stress-Versicherung. Ohne große Eile bringt uns die rot-weiße Matterhorn-Gotthard-Bahn ins 30 Kilometer entfernte Brig.

Tag zwei – von Brig nach Sierre: In der Schaukäserei riecht es zwar streng, aber der Brigerberger Mutschlikäse schmeckt köstlich.

Brig ist ein lebhaftes Städtchen mit schönen Bürgerhäusern in der Altstadt und dem berühmten Stockalperpalast. Die netten Leute im Hotel haben allerdings bemerkt, dass einer von uns keine Lust auf barocke Denkmäler hat, und empfehlen uns den Besuch der örtlichen Schaukäserei. Eine gute Idee, denn dort wird gerade gekäst. „Echt? So geht Käse?“ Justus staunt, auch wenn er findet, dass es hier nach „Kuhpups“ riecht. Daran könnte der Brigerberger Mutschli schuld sein, ein handlicher, runder Käse mit Kümmel, Safran, Bärlauch und weiteren Aromen. So ein Mutschli kommt natürlich mit, als Proviant in der Satteltasche.

Der Radweg ist glatt wie ein Kiesel im Fluss, wir rollen entspannt am Ufer entlang, mal im Sonnenschein, mal unter Pappeln und Birken. Vom köstlichen Mutschli ist schon nach der ersten Rast auf einer Wiese am Wasser nichts mehr übrig. Auf dem weiteren Weg schauen wir dann in Seitentäler, die so tief und scharf eingeschnitten sind, als hätte der liebe Gott sie mit einem kräftigen Handkantenschlag dort hineingehauen. Mächtige Kerben sind das, die den Blick auf weitere, immer höhere Berge freigeben. Die entferntesten Gipfel haben weiße Spitzen und sehen aus, als wären sie in Milch getunkt. Wir sind heute so mit Schauen und Entdecken beschäftigt, dass wir gar nicht merken, wie wir müde werden.

Text: Stefanie und Stefan Zohm, Fotos: Michael Löwa

Lesen Sie die ganze Reportage ab Seite 32 im ADAC Reisemagazin Wallis.

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Eine Antwort zu “Bergab durch die Mitte

  1. Schöner Bericht von der Radtour. Da bekommt gleich Lust los zu radeln.